Portrait Aniara AmosFoto © Henriette Becht

Über Aniara Amos –
einige Gedankensplitter (gekürzte Fassung)

Mehrmals, leider erst in den Jahren nach der Wende, begegnete ich ihr: Zuerst, vor nahezu zwanzig Jahren, in einem Seminar, das ich zusammen mit Peter Konwitschny im Institut für Musikwissenschaft leitete. Unter den Zuschauern fiel Aniara Amos durch ihre eindringenden Fragen auf, gepaart mit der Zurückweisung gängiger, teils apodiktisch einseitiger, teils geschwätzig flacher Urteile: Dies zeigte an, dass die Fragende wusste, worum es ging – weitaus mehr als manche der Älteren! Eben deshalb war ihr nicht auszuweichen. Dies machte Peter Konwitschny und mir zu schaffen und nötigte zu wirklichem Interesse. Mehrmals erlebte ich Aniara Amos als unglaublich virtuose Tänzerin – inmitten einer Leipziger Inszenierung von Achim Freyer als unermüdliche Läuferin gegen die Zeit, also auch gegen Zeit-Strömungen.

Ein oder zwei Jahre später gab sie mir ihre Magisterarbeit – eine Analyse der h-moll-Messe von J. Bach, die im Zusammenhang mit der wohl legendären Inszenierung von Achim Freyer in Schwetzingen von ihr erarbeitet wurde. Die Verfasserin hatte sich intensiv mit Zahlensymbolen und Zahlen-Ordnungen des Barock auseinander gesetzt. Jenseits linearer Zuweisung fragte sie nach „Vorgängen hinter den Vorgängen“ (Brecht), nach Drehpunkten, nach dem für die h-moll-Messe fundamentalen Ineinander verschiedener Konkretionen und Abstraktionen, nach dem So und nicht anders der „musica mundana“, „musica humana“ und „musica instrumentalis“, mithin nach dem Ineinander von Kunst und Wissenschaft(en).

Mir scheint, dass das Mit- und Ineinander von Klingendem – auch von Körpern, Körper-Bewegungen – und Ordnungen, das In- und Miteinander verschiedener Konkretionen und Abstraktionen, dass auch das Mehrschichtige des Geschehens, darin eingeschlossen die Kontrapunktik der Medien, grundlegend ist für Aniara Amos` eigene Aktionen, erst recht für ihre Inszenierungen.

Dass es sich um Inszenierungen einer Tänzerin, um choreographische Arbeiten auch auf dem Terrain der Oper geht, erweist sich als fruchtbar, ermöglicht Genauigkeit, so wie Achim Freyer und Ruth Berghaus es ihr gelehrt und selbst praktiziert haben.

All dies kenntlich zu machen – im genauen Hören der musikalischen Vorgänge, Handlungen – bedarf des Wissens nicht nur um gesellschaftliche, ja, politische Situationen, sondern des Wissens um Tiefenpsychologie: Des Wissens um Träume und um ihre durchaus gekurvte Entzifferung, um Archetypen menschlicher Existenz, des Wissens um dornige Wege von außen nach innen und wieder zurück.



Aniara Amos weiß darum. Ihre Inszenierungen machten, machen es beredt. Dafür sei ihr Dank!

Prof. Gerd Rienäcker
Berlin, im Dezember 2014